HomeBerufskolleg ÜbersichtDeutsch Prüfungsaufgaben

 

Prüfungsaufgaben

PRÜFUNG DER FACHHOCHSCHULREIFE
an Berufskollegs zum Erwerb der Fachhochschulreife u.a.

Hauptprüfung 1997

Thema 2: Textunabhängige Erörterung

"Wirtschaftlicher Fortschritt" und "Humanisierung unserer Lebenswelt" stehen in einem ständigen Spannungsverhältnis.

Erörtern Sie diese Problematik und überlegen Sie, wie ein sinnvoller Ausgleich zwischen diesen Zielen aussehen könnte.


 

PRÜFUNG DER FACHHOCHSCHULREIFE
an Berufskollegs zum Erwerb der Fachhochschulreife u.a.

Hauptprüfung 1997

Thema 3: Texterörterung

ZUM ÜBERDENKEN
Benehmen Glückssache

Von Oskar Fehrenbach

 
 
 
 
 5
 
 
 
 
10
 
 
 
 
15
 
 
 
 
20
 
 
 
 
25
 
 
 
 
30
 
 
 
 
35
 
 
 
 
40
 
 
 
 
45
 
 
 
 
50
 
 
 
 
55
 
 
 
 
60
 
 
 
 
65

"Zeig mal deine Muckis. Kumpel!" Wenn mich die Buben in meiner
Schwarzwälder Dorfecke derart herzerfrischend begrüßen, empfinde ich
das keineswegs als respektlos. Schließlich können sich meine Muskeln
sehen lassen, und wenn ich dann den Fußball ein paarmal aufs
Garagentor geknallt habe, darf ich meinen Spaziergang unter lautem
Hallo fortsetzen. Doch dann gerate ich ins Grübeln: Hätten wir früher
als kleine Knirpse einen alten Knaben ebenso ungeniert angequatscht?
Hat gutes Benehmen noch einen festen Stellenwert in unserer
Gesellschaft, oder macht sich lächerlich, wer darauf pocht? Daß die
Zeiten früher besser gewesen seien, wird niemand behaupten wollen, der
sich ernsthaft auf die Vergangenheit besinnt. Dennoch hat sich manches
verändert und nicht alles zum Besten. Ist etwa Benehmen Glückssache?
Gibt es noch verbindliche Spielregeln? Wo liegen die Defizite, und wie
lassen sich diese erklären?
           Das Beispiel zu Anfang markiert einen wichtigen Unterschied.
Die Jungen behandeln den Erwachsenen von gleich zu gleich. Wenn man
ihn mag, wird er begrüßt, wenn man ihn nicht mag, bleibt er unbeachtet.
Einen Anspruch auf Höflichkeit kann niemand mehr geltend machen.
           Höflichkeit, so sagt man, komme von Herzen. Das gute
Benehmen hingegen ist eine Sache der Tradition, der gesellschaftlichen
Konvention, des häuslichen Umfelds. Manieren sind anerzogen, kaum je
angeboren. Das läßt sich beobachten im Unterschied zu den Kindern
ausländischer Familien. Sie haben fast durchweg die besseren Manieren.
           Jürgen Klinsmann, gewiß kein Oldy, erzählte kürzlich beinahe
altväterlich, daß die jungen Fußballfans in England noch wüßten, wie
man "bitte" und "danke" sagt. Bei uns dagegen schnappen sie das
Autogramm und ziehen wortlos davon. Kein Wurder, daß man immer
wieder zu hören bekommt, das deutsche Volk sei das unhöflichste der
Welt. Ob das stimmt, kann jeder selbst beurteilen.
           Gutes Benehmen mag eine Sekundärtugend sein, die früher
sogar in Erziehungsdrill ausgeartet ist. Benehmen schafft Distanz,
verhindert Intimität, sorgt für Undurchschaubarkeit. Aber es macht auch
das Leben erträglicher. Es sichert gegenseitigen Respekt und löst sogar
Konflikte, wie jeder Verkehrsteilnehmer (in seltenen Fällen) bestätigen
kann.
           Die Preisgabe von Takt und gutem Ton hat auch die Garderobe
vermiest. Nach dem Motto "Kleider machen Leute. Klamotten machen
Proleten". Gelegentlich wird sogar das Recht auf Häßlichkeit in
geradezu ostentativer Weise wahrgenommen. Dies wiederum im
Unterschied zur Mehrheit der Ausländer, die sich kaum mit Fummel
schmücken.
           Kein Zufall, daß sich die Fremdenfeindlichkeit mit möglichst
abstoßendem Outfit maskiert und zugleich demaskiert: kahlgeschoren,
so roh wie möglich aufgemacht, ungetarnt, Jugendgewalt in Reinkultur -
und das im freigewählten Bekenntnis zum Urbild des häßlichen
Deutschen.
           Wer sich mit dem Thema "Benehmen" beschäftigt, merkt
jedenfalls rasch, daß er einen Spiegel der Gesellschaft in der Hand hat.
Man sieht einiges schärfer. Wobei man vorsichtig sein muß. Die
Nivellierung, die Generaltendenz zur Gleichheit aller mit allen, hat auch
ihre Berechtigung, denn das gute Benehmen früherer Tage war auch auf
Rang- und Klassenunterschiede hin angelegt. Mit glatter Höflichkeit
kann man sich jemand vom Leibe halten und sogar demütigen. Es wäre
deshalb falsch, nur immer den Verfall der Werte zu beweinen. Die
Demokratie will eine egalitäre Gesellschaft, und in diesem Punkt
schneiden wir im internationalen Vergleich nicht schlecht ab.
           Man muß allerdings sehen, um welchen Preis dieser Prozeß in
Gang gekommen ist. Dabei ist sicher ein Stück Kultur auf der Strecke
geblieben. Um so verblüffender in diesem Zusammenhang das Ergebnis
einer Umfrage, nach der die deutschen Kinder selbst Wert auf gutes
Benehmen legen. Eltern oder Lehrer, die alles durchgehen lassen,
werden keineswegs geschätzt, eher verachtet. Im Schoß der Familie
liegen also die entscheidenden Probleme. Denn, wie eine kluge
Pädagogin bündig festgestellt hat: sie können nichts, was sie zu Hause
nicht gelernt haben. Man sollte sich vielleicht deshalb einen Grundsatz
des griechischen Philosophen Sokrates zu eigen machen, der zu einem
seiner Freunde einmal gesagt hat: Was macht es mir aus, höflicher zu
sein als du?

aus: SONNTAG AKTUELL, 5.11.1995

Worterklärung

ostentativ (Z. 39): betont, herausfordernd

Aufgabe

  • Geben Sie die Hauptgedanken des Autors wieder.
  • Können Sie den Thesen des Autors über Bedeutung und Funktion von "Benehmen" zustimmen? Begründen Sie Ihre Meinung.

 

PRÜFUNG DER FACHHOCHSCHULREIFE
an Berufskollegs zum Erwerb der Fachhochschulreife u.a.

Hauptprüfung 1997

Thema 4: Texterörterung

Carlos M. Gebauer

Wer schützt uns vor der Sicherheit?

 
 
 
 
 5
 
 
 
 
10
 
 
 
 
15
 
 
 
 
20
 
 
 
 
25
 
 
 
 
30
 
 
 
 
35
 
 
 
 
40
 
 
 
 
45
 
 
 
 
50
 
 

Ein Fremder, der nach Deutschland
kommt,  wird  glauben,  hier  lebe  es
sich sehr gefährlich. An kaum einem
Fahrrad fehlt der linksseits montierte
rote Abstandhalter zur Mahnung des
überholenden Verkehrs, Rote Groflä-
chenrückstrahler gibt es zusätzlich zu
den gelben Pedalrückstrahlern. Ein Blick
in verkehrsberuhigte Spielstraßen zeigt
ihm, wie unwahrscheinlich es war, die ei-
gene Kindheit zu überleben: Fahrräder
mit roten Signalflägglein deuten auf
sturzhelmtragende Kinder, deren Eltern
mit ABS-gebremsten, seitenaufprall-
schutzbewehrten Autos Qber geschwin-
digkeitshemmende Bodenwellen gleiten.
Stolz verkündet die Heckscheibe: "Ich
habe Blutplasma an Bord."
    Wenn man dem Fremden dann sagt,
daß manche Gemeinden hierzulande le-
benslange Renten an Mitbürger zahlen,
die sich im Sturz über eincn hervorste-
henden Pflasterstein verletzten, so wird
er vielleicht einen Verdacht haben. Viel-
leicht, wird er denken, geht es hier schon
nicht mehr nur um die Gewährleistung
von Sicherheit, sondern schon um Be-
quemlichkeit.
    Wenn dem Fremden dann noch gesagt
wird, daß in diesem Land praktisch nur
noch Zahncremes mit Kariesprophylaxe,
Rasierapparate mit Sicherheitsscherkopf,
Sonnenbrillen mit UV-Protektion und
strahlungsabsorbierende Bildschirme ge-
handelt werden, dann wird er nicht nur
die öffentlichen Kampagnen für Kondo-
me verstehen; er wird auch denken: Si-
cherheit und Bequemlichkeit sind die Fe-
tische dieser Gesellschaft.
    Es wird ihn daher nicht wundern,
wenn diese Gesellschaft, die schon in
Windeln Seitenauslaufschutz genießt,
glaubt, auch intensivsten Schutzes durch
Gesetze zu bedürfen. Mit Sorge aller-
dings dürfte er schon die eskalierende
Freistellung des Individuums von der all-
täglichen Sorge um sich selbst betrach-
ten. Wenn etwa Arbeitnehmer von der
persönlichen Pflicht zur Abführung von
Steuern und Sozialbeiträgen entbunden
sind, so isr diese Pflichtenabwälzung auf
den Arbeitgeber nicht nur ein verwal-

 
 
55
 
 
 
 
60
 
 
 
 
65
 
 
 
 
70
 
 
 
 
75
 
 
 
 
80
 
 
 
 
85
 
 
 
 
90
 
 
 
 
95
 
 
 
 
100

tungstechnischer Vorgang. Er wirkt auch
bewußtseinsbildend. Was auch immer ge-
schieht: ein anderer kümmert sich, ermit-
telt nötigenfalls von Amts wegen und
veranlaßt das Erforderliche.
    Daß wir uns mit dieser Schutzum-
schlagsphilosophie in die entsetzlichste
Verantwortungslosigkeit stürzen, ist die
bittere Konsequenz. Unter Berufung auf
das Sozialstaatsgebot wuchert die ur-
sprüngliche Hilfsgarantie bei individuel-
len Krisen zu. einer Behaglichkeitsgaran-
tie für die Allgemeinheit. Am Ende steht
der Wunsch nach einem lauschigen
Plätzchen in der staatlich subventionier-
ten Großindustrie, Arbeits-, Mutter- und
Kündigungsschutz inklusive.
    So wird der einzelne kontinuierlich
von der Last eines eigenen Gedankens
befreit, Zuletzt definiert die Rechtspre-
chung, welche Überlegungen man seinem
Mitbürger noch zutrauen darf. Der
Wettbewerber muß dem Verbraucher al-
les haarklein erklären; wer ausrutscht,
ärgert sich nicht, sondern sucht nach
dem Streupflichtigen.
    Erst wenn das letzte Auto mit Mobili-
tätsgarantie ausgestattet und der letzte
Ast Gegenstand eines eigenen Verkehrs-
warnhinweises geworden ist, werdet ihr
begreifen, daß man die Sorge um sich
selbst nicht delegieren kann. So etwa
könnte der Fremde sprechen, der die
subtile gesellschaftliche Ächtung desjeni-
gen beobachtet, der sich dem al1gemei-
nen Sicherheitskonsens verschließt: Wer
es je gewagt hat, an einer Fahrbahnver-
engung die wegfallende Spur bis zur Eng-
stelle zu nutzen, der kennt die lückenlose
Solidarität der sicherheitshalber frühzei-
tig Eingescherten. Warum sollten sie die-
sem das Schicksal ersparen, wegen des-
sen Vermeidung sie selbst bereits seit sie-
benhundert Metern im Stau stehen? Er-
schreckend ist dabei, daß diese vorsorg-
lich Stauenden ihre Sicherheit über das
Gesetz stellen. Was geschieht mit einem
Gemeinwesen, das beginnt, im Namen der
Sicherheit Gesetze zugunsten der Be-
haglichkeit zu ignorieren? Wer schützt
uns vor der Sicherheit?
Der Autor ist Rechtsanwalt in Duisburg.

aus: FAZ, 8.12.95

Aufgabe

  • Geben Sie die Hauptgedanken des Textes wieder.
  • Nehmen Sie Stellung zu den Thesen des Autors, und diskutieren Sie die möglichen Folgen der beschriebenen Entwicklung.

Worterklärungen

eskalierend (Z. 45): stufenweise steigernd
subtil (Z. 86): schwer zu durchschauen, unterschwellig


 

<<  Blättern Übersicht