Texterörterung |
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Arbeitsanweisungen
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Einwanderung statt Zuwanderung |
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Zu viele Ausländer missbrauchen das Asylrecht |
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von Bassam Tibi |
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BASSAM TIBI |
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Ein
Schulleiter aus Berlin-Kreuzberg |
© FOCUS 38/2000
Material
Anmerkung: Professoren, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, erhalten diese bei ihrer Berufung auf den Lehrstuhl einer deutschen Universität. 12% der Bevölkerung Syriens sind Christen.
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Artikel 16a [Asylrecht]
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen
Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des
Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der
Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der
Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden
durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des
Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen
eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt
werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen
politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung
noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird
vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er
nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung
politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den
Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder
als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann
eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere
ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der
Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die
unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der
Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren
Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für
die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von
Asylentscheidungen treffen.
Tibi erläutert "Leitkultur"
Berlin. (dpa) Der Göttinger Politologe Bassam Tibi hat den von ihm geprägten Begriff der "Leitkultur" erläutert. "Dazu zähle ich die Grundrechte, eine Trennung zwischen Religion und Politik, individuelle Menschenrechte und religiösen Pluralismus", sagte Tibi gestern in einem Interview. Der in Syrien geborene Politologe hatte den Begriff vor zwei Jahren in seinem Buch "Verordnete Fremdenliebe" benutzt. CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz hatte ihn übernommen und für seine Äußerung, Ausländer müssten sich der "deutschen Leitkultur" anpassen, scharfe Kritik geerntet.
Tibi sagte, wer in Deutschland leben wolle, dürfe sich nicht auf eine Kultur oder Religion berufen, um die Werte des Grundgesetzes abzulehnen. Der Politologe gilt als Kritiker einer multikulturellen Gesellschaft, die durch falsch verstandene Toleranz Fundamentalismus und Unfreiheit erstarken lasse. Er glaubt, dass eine islamische Infiltration Europas droht.
Merz verteidigte unterdessen seine Forderung. Die Ausländer müssten die "Regeln des Zusammenlebens in Deutschland respektieren".
© Mannheimer Morgen 27.10.2000
Arbeitsgrundlage für die Zuwanderungs-Kommission der CDU Deutschlands
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Lösungsvorschlag von Ingo FALK
"Einwanderung statt Zuwanderung" - unter diesem Titel erschien im Nachrichtenmagazin FOCUS in Ausgabe 38/2000 ein Artikel des renommierten Politologen Bassam Tibi mit dem Grundtenor, dass "zu viele Ausländer das Asylrecht missbrauchen". Der 56-jährige Autor, selbst nicht deutscher Abstammung, lehrt seit 1973 an der Universität Göttingen Politikwissenschaften und hat unter anderem die Veröffentlichung "Europa ohne Identität? Die Krise der multikulturellen Gesellschaft", erschienen im Siedlerverlag, verfasst.
Einleitend (Zeilen 1 - 35) berichtet Herr Tibi von einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung, die der Aufforderung von Bundespräsident Rau, "eine breite öffentliche Debatte" über Einwanderung in Gang zu setzen, folgte. Er führt hierbei Beispiele von Berichten mehrerer Tagungsteilnehmer an, die zum Ausdruck brächten, dass zunehmend niedrig gebildete Zuwanderer aus unteren sozialen Schichten einer erfolgreichen Integration nicht fähig seien. Desweiteren stellt er ein Umdenken in der deutschen Gesellschaft in Bezug auf die Tatsache, dass Deutschland "faktisch ein Einwanderungsland" (Zeile 37) sei, fest und beruft sich dabei auf Bundesinnenminister Schily, der bereits "eine Steuerung der Einwanderungspolitik" (Zeile 39f.) gefordert habe (Zeilen 36 - 40). Hiernach präzisiert der Autor, dass darunter eine Auswahl der Zuwanderungswilligen nach ihrer beruflichen Qualifikation zu verstehen sei (Zeile 41f.). Der Politologe führt im Folgenden (Zeilen 45 - 55) aus, dass eine unkontrollierte Zuwanderung bereits in der Vergangenheit zu einer Veränderung der Sozialstruktur der in Deutschland lebenden Ausländer geführt habe und macht dies an einem statistischen Anstieg des Ausländeranteils an den Sozialhilfekosten fest. Als unmittelbare Folge sieht er die Diskriminierung von Ausländern insgesamt, die vor allem den "integrierten Ausländern" (Zeile 56) ein zunehmendes Ärgernis sei (Zeilen 56 - 62). Der Politkwissenschaftler hält in seinen weiteren Ausführungen ein Einwanderungsgesetz für die einzige Lösung (Zeilen 63 - 71), welches vor allem das bisher gültige verfassungsmäßige Grundrecht auf Asyl nicht aussparen dürfe (Zeilen 72 - 78) und nimmt noch einmal Bezug auf die Auswirkungen für den deutschen Sozialstaat (Zeilen 79 - 92). Abschließend stellt Bassam Tibi die Aufrechterhaltung des Artikels 16a des Grundgesetzes, in dem das Asylrecht geregelt ist, auch im Hinblick auf die europäische Dimension der Problematik in Frage (Zeilen 36 - 40).
Klar ist, dass das individuelle Grundrecht auf Asyl, welches in der deutschen Verfassung aus historischen Gründen verankert ist, in seiner Tragweite sicher einzigartig in der Welt und vor allem in Europa ist. Die Bundesrepublik Deutschland ist seit jeher ein beliebtes Ziel von Menschen, die vor politischer Unterdrückung oder wirtschaftlicher Not flüchten. Im Rahmen humanitärer Hilfe für Krisengebiete, wie zuletzt der Balkan, hat Deutschland stets eine überproportional hohe Zahl an Flüchtlingen, insbesondere im europäischen Vergleich, aufgenommen. Während der Bundesrepublik in Zeiten des kalten Krieges in diesem Zusammenhang vor allem die Rolle des "Leuchtturms in der Brandung" zukam und deshalb auch die moralische Unterstützung der westlichen Bündnisländer sicher war, stellt sich die Lage heute völlig anders dar. Der "real existierende Sozialismus", vor dem viele Menschen flüchteten und der ein unbedingtes Festhalten an dem uneingeschränkten Recht auf politisches Asyl erforderte, ist in dieser Form nicht mehr vorhanden. Stattdessen sieht sich das wiedervereinigte Deutschland, dessen inneres Zusammenwachsen ohnehin große Kraftanstrengungen erfordert, im Zuge der Globalisierung einem harten Wettbewerb der westlichen Volkswirtschaften um nachhaltigen Wohlstand ausgesetzt. Unter diesem Gesichtspunkt und wenn man zusätzlich die absehbaren Folgen der ungünstigen demografischen Entwicklung berücksichtigt, scheint es legitim, die bisherige Asylpraxis durch eine regulierte Zuwanderung zu ersetzen, die neben humanitären auch die volkswirtschaftlichen Interessen Deutschlands einbezieht. Eine Abstimmung dieser Richtlinien mit unseren europäischen Nachbarn muss sich dabei geradezu aufdrängen.
Herr Tibi greift in seinem Artikel zunächst Stichworte auf, die ihm die Teilnehmer der von ihm erwähnten Tagung liefern. Er begründet die Tatsache, dass viele heute nach Deutschland zuwandernde Menschen hier mehr und mehr ein "Ghetto-Milieu" (Zeile 12) bildeten, mit der sozialen Herkunft dieser Zuwanderer in ihrem Heimatland, in dem diese nicht selten "Slumbewohner" (Zeile 21f.) oder gar "Analphabeten" (Zeile 26) seien und vor allem einen erhöhten Hang zur Kriminalität aufwiesen. Der Politologe folgert daraus, dass Einwanderung in Zukunft unter qualitativen Gesichtspunkten einer "Steuerung" (Zeile 39f.) bedürfe und sieht sich hierin durch die aktuelle öffentliche Debatte und die Äußerungen führender Politiker bestätigt.
Seine Formulierung "Rational gedacht, bedeutet Steuerung, vorwiegend qualifizierte Fachkräfte als Migranten auszuwählen,..." weckt jedoch die Erwartung beim Leser, dass er nun eine differenzierte Betrachtung des Sachverhalts folgen ließe. Stattdessen führt er im Anschluss wenig hilfreiche statistische Zahlen an, nach denen sich der Anteil von Ausländern am Sozialhilfeaufkommen in den letzten 30 Jahren annähernd verzwanzigfacht habe - wohlwissend, dass sich das Asylrecht zwischenzeitlich dahingehend gravierend geändert hat, als Aufwendungen für Asylanten von einem ursprünglich eigenständigen Budget inzwischen in die Sozialhilfe überführt worden sind, es andererseits Asylberechtigten aber untersagt ist, eine Arbeit in Deutschland aufzunehmen. Diese Argumentationsweise entspricht jedoch bedauerlicherweise genau der von rechtspopulistischen Demagogen, die damit nur Fremdenfeindlichkeit schüren wollen.
Überhaupt darf doch nicht unerwähnt bleiben, dass eine "geregelte Einwanderung" (Zeile 69f.), die sich ausschließlich an der Qualifikation der Migranten orientiert, letztlich gerade den wirtschaftlich armen Herkunftsländern durch systematische Abwanderung von Eliten schadet. Zu Recht wird eine solche Praxis von verschiedenen Persönlichkeiten überspitzt als "menschenverachtend" bezeichnet, da sie im Grunde den Menschen nur nach seinem volkswirtschaftlichen Nutzen beurteilt. Die sprachliche Nuancierung mit Hilfe der Begriffe "Zuwanderung" und "Einwanderung" (Zeile 63ff.) kann hier das Fehlen einer differenzierten Auseinandersetzung mit der Problematik seitens des Autors nicht kaschieren.
Die anschließend von Herrn Tibi aufgebaute Argumentationskette birgt einen gravierenden Widerspruch in sich. Aus der Tatsache, dass "96 Prozent der Asylbewerber Zuwanderer und keine politisch Verfolgten" (Zeile 76ff.) seien, leitet er eine hinreichende Begründung für die Abschaffung des Asylrechts in seiner jetzigen Form ab und scheint dabei beispielsweise von einem kürzlich von der CDU Deutschland veröffentlichten Arbeitspapier, welches unter anderem einen ähnlichen Tenor enthält, bestätigt zu werden. Diese Argumentation widerspricht sich jedoch selbst, denn Zuwanderer die nicht "politisch Verfolgte" sind, besitzen ja eben gar kein "Asylrecht" und fallen somit überhaupt nicht unter die Gruppe derer, denen der Schutz des Grundgesetzes der Bundesrepublik vor Verfolgung gewidmet ist. Artikel 16a des Grundgesetzes findet auf diese Personen nur in sofern Anwendung, als in Absatz 4 Richtlinien zum Umgang mit "offensichtlich unbegründeten" (ebd.) Asylanträgen formuliert sind, deren Umsetzung jedoch ausdrücklich durch Bundesgesetz zu bestimmen ist. Nicht das Asylrecht ist also in Frage zu stellen, sondern die bisherige Praxis seiner Durchsetzung. Die hierzu angebrachten Anregungen des Politikwissenschaftlers bleiben aber wiederum aus. Gerade in diesem Zusammenhang wäre die von ihm angemahnte europäische Harmonisierung und Zusammenarbeit besonders sinnvoll.
Als Fazit bleibt festzustellen, dass Herr Tibi mit seinem Artikel einer dringend notwendigen Versachlichung der Diskussion einen Bärendienst geleistet hat. Besonders vor dem Hintergrund, dass dieses Thema voraussichtlich eine wichtige Rolle im kommenden Bundestagswahlkampf spielen wird, in dem der Unmut der Wähler über die zweifellos bestehenden Integrationsprobleme möglicherweise gegen die Zuwanderung insgesamt ausgespielt werden könnte, wäre eine Entemotionalisierung der Debatte vor allem mit Argumenten aus Sicht der Wissenschaft wünschenswert gewesen.